Es ist ohne Weiteres möglich, aus der Altersverteilung neu nachgewiesener COVID19-Infektionen zu berechnen, wieviele der neu infizierten Menschen wohl durch das Sars-Cov2-Virus sterben werden. Diese Vorhersage ist recht genau. In Deutschland gab es im Frühjahr 2020 einen Versatz zwischen Infektion und Versterben von ungefähr 2 Wochen. Dieser Zusammenhang scheint nach wie vor zu gelten. Ich nenne diese Zahl „lives at risk“, also gefährdete Leben, da wir zwar ungefähr berechnen können, WIE VIELE der infizierten Personen statistisch sterben werden, aber nicht wissen, welche genau es sind.
In untenstehender Tabelle finden sich die „lives at risk“-Werte für die letzten 6 Wochen, aufgeschlüsselt nach den Landkreisen und Städten Deutschlands (wer es eilig hat: runterscrollen und die letzten drei Absätze als Anleitung lesen). Die Basis der Berechnung der Zahlen sind die Infektionszahlen von Survstat@RKI2.0 und die deutschen Sterbezahlen des Frühjahrs zwischen KW10 und KW30. Die „lives at risk“ errechnen sich durch Multiplikation der jeweiligen Zahl der nachgewiesenen Infektionen in einer Alterskohorte mit dem altersspezifischen Sterberisiko des Frühjahrs nach COVID19-Diagnose in Deutschland. Es handelt sich somit um eine Gewichtung der Infektionszahlen durch das Risiko, nach einem Infektionsnachweis zu sterben. Die auf diese Weise erhaltenen Zahlen wurden durch den Faktor 0.5 korrigiert, um die alterspezifische Mortalität auf die momentan gefundenen Werte zu skalieren. Die erhaltene Zahl ist somit sehr greifbar: Sie gibt konkret an, wieviele Menschen zwei Wochen nach der durch einen Test nachgewiesenen Infektion sterben werden. Dass dies sehr gut funktioniert lässt sich z.B. in meinem letzten Tweet zum Thema für Gesamtdeutschland nachlesen, bei dem eine Kurve die vorhergesagte mit der tatsächlichen Mortalität über das ganze Jahr vergleicht (siehe https://twitter.com/JakobsCarl/status/1334541356337913858). Das ein solches sehr einfaches Vorgehen grundsätzlich wissenschaftlich begründbar ist, liegt auf der Hand. Die Arbeiten von Andrew Levin et al. (https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.07.23.20160895v7) und Matthias Linden et al. (https://arxiv.org/abs/2010.05850) mögen aber als Unterstützung der Idee dienen.
Ich glaube daß diese Zahl von äußerster Wichtigkeit sein kann – denn sie spiegelt letztlich den Parameter wider, auf den wir als Gesellschaft blicken müssen. Denn um die „lives at risk“ dreht es sich doch – wie schaffen wir es, die Zahl der durch SarsCov-2 zu Tode kommenden Menschen zu minimieren? Geht dies (nur) durch eine Verringerung der Gesamtinzidenzen durch (mini-)lockdowns? Gibt es Landkreise oder Städte in Deutschland, die es trotz hoher Inzidenz schaffen, die älteren Mitbürger vor Ansteckung besser zu schützen als Andere und von denen andere Städte und Landkreise lernen können? Das scheint der Fall zu sein. Dazu lohnt sich bei den Städten mit mehr als 500000 Einwohnern z.B. ein Blick auf Stuttgart, Düsseldorf und Dortmund in untenstehender Tabelle. Berlin, Nürnberg und Dresden machen es nicht so gut. Zum Einen ist in diesen Städten ein größerer Teil der vulnerablen Bevölkerung infiziert, z.B. ist der Wert in Dresden 4mal so hoch wie in Düsseldorf. Zum Anderen werden also die Älteren Menschen viel schlechter geschützt. So ist der Anteil vulnerabler Menschen am Gesamtanteil der nachgewiesenen Infektionen in Dresden doppelt so hoch wie in Stuttgart.
Ich glaube, daß es notwendig und hilfreich ist, wenn wir alle vor allem in unserer eigenen Umgebung schauen, um zu sehen wie gut wir in der Bekämpfung der Pandemie sind, und um uns zu motivieren, vielleicht die Besten darin in Deutschland zu werden. Denn in Asien schaffen es die Bevölkerungen und die Gesellschaft doch auch! Die gewaltigen Zahlen von 400 Toten am Tag in ganz Deutschland sind schauderhaft, aber doch irgendwie unkonkret. Zu lesen, dass im eigenen kleinen Landkreis durch die fehlende Vorsicht der Bürger 20 der Menschen die sich infiziert haben sterben werden, ist etwas konkreter. Den Blick der Menschen in die direkte Umgebung zu lenken ist eines der Ziele dieser website.
Dies ist die zweite Version der Tabelle, mit einigen Neuheiten und Änderungen. Es gibt nun verschiedene „Rankings“, nach denen sortiert werden kann, und zwar jeweils gesamt und für das jeweilige Bundesland. Dies sind im Einzelnen: Die Lives at Risk / 1M Einwohner (LAR), der Abschirmwert (Protection Value) und ein kombinierter Parameter „LAR & Protection“, den ich als den Wichtigsten betrachte, und der sowohl die LAR als auch den Abschirmwert berücksichtigt. Die Bundesländer und Gesamtdeutschland wurden ebenfalls in die Tabelle aufgenommen. Zudem ist jedem Kreis sein Bundesland zugeordnet (Herzlichen Dank an Axel Haack für die Unterstützung!).
Die Tabelle kann wie gehabt sortiert und gefiltert werden, die entsprechenden Schlagworte finden sich auf der rechten Seite der Tabelle. Es kann auf Städte („SK“) oder Landkreise („LK“), auf eine Population >200000 Einwohner (large) oder <200000 (small), und auf Kreise mit hoher Inzidenz pro 100000 Einwohnern („>150“) und geringer Inzidenz („<150“) gefiltert werden und dann durch Anklicken der Kopfzeile nach Inzidenz, Einwohnerzahl, „lives at risk“ für die verschiedenen Kalenderwochen, und „lives at risk“ pro 1 Million Einwohner für die KW49 sortiert werden. Wichtig: Die Tabelle muss nach rechts gescrollt bzw. geschoben werden, um ganz sichtbar zu sein. Das geht an Mobiltelefon und Tablet etwas leichter, da mann dies durch einfaches verschieben hinbekommt.
Ein sehr wichtiger, erklärungsbedürftiger Parameter ist noch das Verhältnis der „lives at risk“ in der KW49, geteilt durch die Inzidenz in der KW49. Ich nenne ihn den „Abschirmwert“ oder „Protection Value“. Diese Zahl gibt in Prozent an wieviele der Infizierten vermutlich ihr Leben durch die Infektion verlieren werden, und ist ein Maß dafür, wie gut die Stadt oder der Kreis darin sind, die älteren Mitbürger vor Ansteckung zu schützen. Ist dieser Wert bei niedriger Inzidenz klein, bedeutet dies, dass der Kreis die Pandemie insgesamt gut im Griff hat. Ist der Wert bei hoher Inzidenz klein, heisst das, dass die Älteren (besser) abgeschirmt sind als an anderen Orten, auch wenn sich daraus trotzdem eine hohe Mortalität ergeben kann. Das Umgekehrte gilt analog. Es kann also auch ein Ort, an dem es wenig Infektionen gibt, dennoch sehr schlecht darin sein z.B. die Pflegeheime vor Ausbrüchen zu schützen. Wichtig: Die Definition des Abschirmwertes hat sich geändert: in der alten Variante wurde durch den Inzidenzwert von 2 Wochen zuvor geteilt, wodurch die Dynamik des Infektionsgeschehens mit enthalten war. Die neue Definition ist geeigneter, möglichst schnell anzuzeigen, ob sich der Schutz der älteren Bevölkerung verbessert hat.
Ich hoffe diese Zahlen können von Nutzen sein. Für die Richtigkeit von Zahlen, Angaben und Berechnungen gilt keine Gewähr. Ich freue mich auf intensive Diskussionen und manche interessante Einblicke auf Twitter.
„Carl Jakobs“